occupied corner Dr. Magdalena Wisniowska
GIG MUNICH (2016)
In dem gleichen Maße wie man das ästhetische Objekt auf zweierlei Weise interpretieren kann, gibt es zwei Wege sich den Arbeiten von Michael Lukas zu nähern. Nimmt man die Perspektive ein, die noch vor der ästhetischen Erfahrung steht, wird die Arbeit zum Objekt unserer Betrachtung. Wir beginnen damit das Werk einzuordnen und die zahlreichen ihm innewohnenden Themen zu katalogisieren. Diese beinhalten die Bereiche der Ontologie, Topologie, Geografie, Sozialwissenschaften und der Geschichte, sind jedoch nicht auf sie beschränkt. Aus der Perspektive der Ästhetik müssen wir jedoch untersuchen, welche Art von Erfahrung diese Arbeit hervorruft, die, wie ich meine, einzigartig ist.
Vielleicht ist der Terminus ‚Ästhetische Erfahrung’ irreführend, denn Michael Lukas’ Arbeit umfasst viel mehr als die traditionelle Bedeutung des Begriffs, in dessen Verständnis das Objekt vom menschlichen Subjekt betrachtet wird, das individuelle Kunstwerk vom Kunstexperten, dem Connaisseur, beurteilt wird. Michael Lukas’ Arbeit präsentiert ein Problem: mit Deleuze’s Worten nötigt er uns zum Denken.
Die speziell für die GiG München entworfene Installation existiert nicht als das eine Gemälde oder eine Gruppe von Gemälden, die wir als Kompositionen von Pinselstrichen auf Holz oder Leinwand kennen. Sie besteht aus den Beziehungen und Verbindungen, die diese materiellen Elemente miteinander, mit anderen Gemälden, mit dem Künstler und mit uns, dem Betrachter, herstellen. Die Beziehungen sind physischer Natur, aber auch abstrakt oder intellektuell – die Verbindungen zwischen nebulösen Ideen, ist gleichermaßen wichtig, wie jene von Objekten im Euklidischen Raum. Mit anderen Worten inszeniert die Gemäldeinstallation von Michael Lukas eine Begegnung – eine Begegnung, die immer eine Auseinandersetzung zwischen Kräften darstellt. Das Resultat der Begegnung ist eine Assemblage von Affekten.
Für Spinoza, der mir hier hauptsächlich als Referenzpunkt dient, haben die in der Begegnung aufgestellten Kräfte zwei mögliche Ergebnisse. Die Begegnung resultiert entweder im Anwachsen der Kapazität für Aktion, was als angenehm wahrgenommen, oder in ihrer Verminderung, was als Schmerz empfunden wird. Die Assemblage von Affekten ist die Folge der ersteren Begegnung, der angenehmen Komposition von Beziehungen, die uns letztendlich dem Wissen um einen Gott näherbringen wird.
Deleuze verkompliziert die Sache, indem er darauf besteht, dass die Position, die der Körper in dieser Begegnung einnimmt, die des Kampfes ist. In der Auseinandersetzung kämpfen Kräfte miteinander, überschreiten die Grenzen des organisierten Körpers und zerbrechen diesen. Um laut Deleuze den Kampf als positive Begegnung betrachten zu können, kann diese Auseinandersetzung nicht dadurch gelöst werden, dass eine Kraft über die andere dominiert. Jede Art von Auflösung gefährdet die dem Kampf innewohnenden schöpferischen Elemente. Etwas Neues wird nur dann geschaffen, wenn die Auseinandersetzung der Kräfte aufrechterhalten wird.
Michael Lukas’ Arbeit hält diese Spannung, diese Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Kräften. Er benutzt den Rahmen, der wiederholt als Motiv in seinen Gemälden vorkommt, und sich physisch als ein skulpturales Relief manifestiert, das die Ecke der Galerie besetzt und uns dazu auffordert, uns aus einem organisierten Kunstwerk hinauszubewegen – sich von einem materiellen Aspekt zum anderen zu verlagern, all diese intellektuellen Verbindungen herzustellen, die wir sonst nicht machen würden, immerzu davon abgehalten uns auf ein Objekt, auf ein Bild, auf eine Idee zu fokussieren. Die Begegnung mit Michael Lukas’ Arbeit bringt uns dazu, nachzudenken und so werden wir in eine kreative Position gedrängt. Sie treibt uns zur Aktion. Und dennoch erlaubt sie niemals, diese Aktivität aufzulösen. Wir sind ununterbrochen beeindruckt – schauend, sinnsuchend, nachdenkend.
Presseartikel:
Dr. Erika Wäcker-Babnik
„Occupied Corner“, GIG MUNICH
Münchner Feuilleton, Juli 2016, Ausgabe Nr 54 – 08.07. – 05.08.2016